Gruss von Pater Mariano Jose Sedano Sierra zum Tag der Heiligen Elisabeth von Thüringen

Liebe Freunde,

in diesem Jahr kann ich leider nicht mit Euch in Russland zusammen sein, um den Tag der Heiligen Elisabeth von Thüringen, unserer himmlischen Patronin, mitzufeiern. Indem ich Euch alle dankbar in meinen Gedanken habe, möchte ich Euch meinen Gruß und einige besondere Überlegungen senden, zu denen mich das Jahr des Glaubens inspiriert hat, das wir miteinander feiern.

Der Glaube ist eine neue Sicht auf alles, was existiert. Der Glaube darf nicht blind sein, wie wir das oft zu hören oder zu lesen bekommen. Der Glaube gibt uns ein neues Licht. Die Gläubigen sehen diese Welt, in welcher ohne Zweifel das Übel, der Egoismus, die Lüge und die Ungerechtigkeit herrschen. Der Glaube macht uns nicht blind. Er führt uns nicht in eine andere irreale und nirgendwo existierende Welt. Ausgerechnet dies ist die Bedeutung des Wortes „Utopie“. Das Gegenteil ist der Fall: der Glaube öffnet unsere Augen, damit wir sehen können, dass die Quellen, aus welchen das Übel und die Ungerechtigkeit ihre gewaltigen Kräfte schöpfen, die Gleichgültigkeit und das zulassende Schweigen sind, die diese begleiten. Das Schweigen derjenigen, die sich nicht trauen, ihre Meinung zu äußern, aus Angst, ihr Leben zu erschweren. Das Schweigen der Menschen, die ihre soziale oder materielle Lage bzw. ihre Ruhe zu verlieren befürchten. Man schweigt wahrscheinlich auch aus dem Grund, dass man für sinnlos hält, etwas zu unternehmen. Dies alles verstärkt vielfach die unterschiedlichen Formen des Übels. Der Konformismus und das unbewusste Mitmachen sind manchmal genauso gefährlich wie die Gewalt selbst. Es gibt ein Schweigen, das man für einen Verkünder von Hass und Ungerechtigkeit halten kann, weil es die Augen der Seele verblendet und die Fähigkeit lähmt, mit dem Herzen eine bessere Einrichtung der Welt anzustreben. Um das Übel zu überwinden, bedarf unsere Welt gläubiger Menschen, die alles mit anderen Augen sehen können, mit den Augen des Glaubens.

Die Heilige Elisabeth gehörte zu solchen Menschen. Dank ihres tiefen Glaubens nahmen ihre Zeitgenossen ihr Leben wie eine Widerspiegelung des Lebens Christi wahr. Das fiel ihr nicht leicht, in erster Linie, weil sie eine Frau war. Von Kindheit an bis später in der Jugend wurde alles in ihrem Leben durch andere Menschen bestimmt, darunter auch die Wahl, wen sie heiraten sollte. Ihre eigene Meinung galt außerhalb ihres Hauses nichts. Elisabeth blieb jedoch angesichts des Elends und der Nöte, denen begegnete, nicht ohne Teilnahme. Sie besaß die Kraft, die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft der damaligen Zeit einigermaßen wieder gutzumachen. Sie glaubte an Christus. Deshalb beschloss sie, genauso wie Er es getan hatte, sich zu erniedrigen, auf ihren Titel als Landgräfin zu verzichten und im Tal unterhalb des Schlosses ein Krankenhaus für die Armen einzurichten. Sie sagte, sie wolle keine goldene Krone besitzen, wenn ihr geliebter Herr mit Dornen gekrönt war. Deshalb verkaufte sie ihren ganzen Schmuck und verwandelte diesen in warme Mahlzeiten, Unterkunft, Medizin und Kleidung für die Armen. Sie nahm sie selbst auf, wusch sie, behandelte ihre Wunden und bereitete ihnen ihr Bett. Sie konnte nicht mehr anders leben, als ihre Liebe allen Menschen in ihrer Umgebung zu widmen.

Gott sei Dank gibt es auch unter uns heute solche Menschen. Auch sie bleiben nicht untätig, legen nicht die Hände in den Schoß angesichts der vielen Probleme, die uns heute umgeben. Diese Menschen gehen auf die Bedürftigen zu und geben ihnen das Gefühl, dass jeder Mensch wertvoll und der Fürsorge, Geborgenheit und Aufmerksamkeit wert ist, einfach weil er ein Mensch ist, eine Persönlichkeit, ein Kind Gottes. Solche Leute glauben an die Menschen. Dieser Glaube befähigt sie, nicht nur ein abstraktes gesichtsloses Problem anzugehen, sondern einen Menschen in misslicher Lage zu sehen, dem man helfen kann und muss.

Jeder Mensch, der bei der Caritas arbeitet, könnte sagen, dass er kein Held oder keine Heldin ist. Jeder in der Caritas tätige Mensch fühlt seine Schwäche und seine Kraftlosigkeit. Er fühlt trotz allem auch die Kraft seines Glaubens.

Wir wollen nicht angesichts eines fremden Unglücks schweigen oder die Hände in den Schoß legen. Mit Gottes Hilfe versuchen wir, zumindest das gut zu tun, was von uns abhängt. Darüber hinaus fühlen wir, dass nicht nur wir den Armen helfen. Die älteren Menschen, Kranken, Einkommensschwachen, Behinderten und Häftlinge helfen uns auch, weil sie uns menschlicher, einfacher und fähiger machen, zu lieben und unsere Zuneigung zu zeigen, im Gegensatz zu dem Bild, das wir von uns selbst haben, indem wir nur unsere Beschränktheit und unseren Egoismus sehen. Sie helfen uns jeden Tag, an uns selbst zu glauben.

Heute möchten wir dem Herrn für alle Menschen danken, die, entsprechend ihren eigenen Kräften, einen Beitrag zu mehr Herzlichkeit, Zärtlichkeit, Nähe, Trost und Freude leisten. Für alle, die für uns lebende Ikonen Jesu Christi waren und sind. Mit der Fürsprache unserer himmlischen Patronin beten wir heute zu unserem Herrn um Barmherzigkeit und Quelle jeglichen Trostes, um Seine Kraft, damit wir weiterhin ein kleines Zeichen des Glaubens, des Trostes und der Hoffnung für alle Notleidenden bleiben können.

 Ihr Bruder und Vater in Christus,

 Mariano

Rom, den 17. November 2012